Was sind die Vorteile analoger Fotografie?

Hat analoge Fotografie überhaupt Vorteile? Man verlässt die digitale Komfortzone, nutzt eine teilweise sehr alte Technik und ein im Vergleich zur digitalen Fotografie sehr umständliches Verfahren, bis überhaupt ein Bild entsteht. Das alles hört sich erstmal nicht unbedingt nach Vorteilen an. Dennoch gibt es sie und sie sind in meinem Augen so groß, dass ich seit Jahren nur selten digital fotografiere. Doch was sind das für Vorteile analoger Fotografie?

Ein Vorteil analoger Fotografie sind wunderschöne Kameras wie diese auf dem Foto, die man benutzten kann
Der schönste Vorteil, den analoge Fotografie besitzt: alte Kameras

Darüber gibt es sehr unterschiedliche Meinungen … wie es auch unterschiedliche Motivationen gibt, analog zu fotografieren. Einerseits ist da dieser Trend zur analogen Fotografie. Entsprechend fallen die Aufzählungen von Vorteilen analoger Fotografie auf einigen Websites aus: man fällt auf, hebt sich von der Menge ab, schafft einzigartige Bilder. Das Problem: man hebt sich nicht von der Menge ab, wenn viele diesem Trend folgen. Fotos werden auch nicht automatisch herausragend, nur weil sie analog aufgenommen wurden. Oft findet man auch die merkwürdige Aussage, dass Fehler ein Foto ja erst authentisch machen. Natürlich kann ein aus der Hüfte geschossenes Foto unscharf und falsch belichtet ein Glückstreffer werden. Fotos werden ohnehin oft anders als erwartet … gerade in der analogen Schwarz-Weiß Fotografie. Trotzdem kann man sich meiner Meinung nach beim Fokus, bei Belichtung und Bildkomposition wenigstens etwas Mühe geben.

Man kann in der analogen Fotografie vor allem aber eine Chance sehen, sich selbst weiterzuentwickeln. Das Fehlen von Komfort macht Prozesse klarer und greifbarer … das ist Fotografie pur! Welche konkreten Vorteile analoger Fotografie entstehen dadurch? Das sind die aus meiner Sicht wichtigsten.

1. Vorteil: Zwang zum bewussten Fotografieren

Digitale Fotografie verführt zu einem oft sehr beliebigen Fotografieren. Es entstehen in kurzer Zeit viele Aufnahmen, über deren Schicksal erst später am Computer entschieden wird. Analog ist das einfach nicht machbar. Die geringe Kapazität des Filmes, die je nach Kamera längere Vorbereitungszeit und auch der Preis von Filmen limitieren die Anzahl von Bildern. Was erstmal als Nachteil erscheint, erweist sich jedoch im Laufe der Zeit als Vorteil. Als analoger Fotograf muss man sich schon im Voraus Gedanken über das gewünschte Resultat machen. Dazu zählen nicht nur Motiv und Perspektive, sondern auch Dinge, die das Aussehen des späteren Bildes beeinflussen wie die Filmauswahl oder die Verwendung von Farbfiltern. Das Foto entsteht in dem Moment, in dem der Auslöser gedrückt wird und nicht erst später am Computer. Also muss man in diesem Moment entscheiden, ob das Motiv lohnenswert ist und wie es am Besten aufgenommen werden sollte. Wenn Qualität einen Vorrang vor Quantität bekommt, kann man sich weiterentwickeln und ein besserer Fotograf werden. Und ganz nebenbei sitzt man nicht so lange vor dem Rechner und sortiert massenhaft Bilder aus.

Aber warum spreche ich von einem Zwang zum bewussten Fotografieren, obwohl dies eigentlich ein Vorteil sein soll? Einfach weil man auch digital bewusster fotografieren kann. Man kann manuell belichten und fokussieren und vor allem nicht alles mehrmals und in vielen Varianten aufnehmen. Das erfordert jedoch zu Beginn etwas Disziplin und vor allem Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Die analoge Fotografie ist ähnlich dem sprichwörtlichen Wurf ins kalte Wasser. Zu Beginn definitiv eine Herausforderung, letztendlich aber eine große Chance.

2. Vorteil analoger Fotografie: das Handwerk

Während in der digitalen Fotografie dank vieler elektronische Helferlein auf wundersame Art ein Bild auf Knopfdruck entsteht, ist der Prozess analog viel komplexer. Man muss sich um einen Film in der passenden Empfindlichkeit kümmern, ggf. Belichtung und Entfernung messen und alle Einstellungen selbst machen. Jeder einzelne Schritt muss bei der Aufnahme bedacht werden. Bildkomposition, Fokus, Belichtung … die Eckdaten der Fotografie sind analog viel gegenwärtiger als in der Digital-Fotografie. Aber selbst danach hat man noch kein Foto. Erst muss der Film entwickelt und fixiert, danach müssen Abzüge oder Scans erstellt werden. Der gesamte Umgang mit der Kamera und dem Film erfolgt wesentlich bedachter und länger. Und das soll ein Vorteil sein?

Vorteile analoger Fotografie: 120er Film mit großen 6x6 Negativen
Der Umgang mit Film macht Fotografie viel haptischer

Für mich definitiv! Der Prozess dauert nicht nur länger, er ist auch viel haptischer. Ich habe dadurch ein deutlich anderes Verhältnis zu meinen analogen als zu meinen digitalen Fotos … ein schöneres und wertschätzenderes. Dieses Gefühl, nach dem Öffnen der Entwicklungsdose die Negative zu ersten Mal zu sehen … nach dem Scannen das Resultat zu betrachten … das ist ganz anders als in der digitalen Fotografie. Bei diesen Fotos kann man definitiv behaupten: sie sind handgemacht. Wer dieses Gefühl und den damit verbundenen Stolz auf die eigene Arbeit kennt, sieht in dieser Umständlichkeit ebenfalls einen Vorteil analoger Fotografie.

3. Vorteil: Analoge Kameras

Für mich persönlich ist das einer der schönsten Vorteile analoger Fotografie: die Technik. Obwohl man hier teilweise wohl eher vom Fehlen der Technik sprechen sollte. Wer seine Möglichkeiten vorher über Megapixel definiert, wird sich beim Öffnen einer alten Box-Kamera fragen, wie man damit überhaupt Fotos machen kann. Denn so ein Kasten ist ziemlich leer. Wer sowas mal benutzt hat, merkt sehr schnell, wie wenig Fotografie von hochentwickelter Technik abhängt.

Dacora Daci: Fotografie hängt nicht von Technik ab
Eine alte Dacora Daci aus den 50ern: Fotografie braucht sehr wenig Technik

Wer sich für die analoge Fotografie entscheidet, kann zwischen den unterschiedlichsten Kameras aus vielen Jahrzehnten wählen. Von einfachsten mechanischen Kameras bis hin zu professionellen Modellen, die sich von heutigen Digitalkameras kaum unterscheiden. Es gibt sehr kleine Pocket Kameras, die vielen Kleinbildkameras und natürlich Mittelformat-Kameras. Es gibt sehr teure Kameras wie alte Leica, aber auch preiswerte Modelle, die teilweise durch einfache Optiken einen immensen Charme haben können. Wer diese Faszination für sich entdeckt, bekommt es früher oder später mit der Gefahr einer Sammelleidenschaft zu tun.

An diesem Vorteil analoger Fotografie hängt jedoch ein größerer Haken: analoge Kameras sind nur gebraucht verfügbar. Einen Hersteller-Service gibt es nicht, Werkstätten sind selten und daher oft überlastet. Viele kleinere Dinge wie zum Beispiel den Wechsel von Lichtdichtungen sollte man daher eher selbst machen. Allerdings geht das mit etwas handwerklichem Geschick recht gut und man lernt auf diesem Weg seine Kamera besser kennen. Wer jedoch lieber eine aktuelle Kamera inklusive Herstellerservice möchte, kann in diesem Artikel zu neuen analogen Kameras fündig werden.

4. Vorteil: Der Look

An dieser Stelle möchte ich betonen, dass es „den einen analogen Look“ eigentlich gar nicht gibt. In der Digital-Fotografie versuchen Kameras ein qualitativ möglichst hochwertiges Foto zu erstellen. Es soll eine hohe Auflösung haben, Farben und Details sauber abbilden und geringes Rauschen aufweisen. Darin sind alle Kameras recht ähnlich, eine gewisse Individualität entsteht erst in der Nachbearbeitung. In der analogen Fotografie ist das anders. Eine Mittelformat-Kamera liefert viel dichtere Bilder als eine Kleinbildkamera. Ein einfaches Objektiv wie ein dreilinsiges Anastigmat liefert weichere Bilder als ein sechslinsiges Objektiv vom Gauss-Typ. Der Film und die Art der Entwicklung bestimmen Körnigkeit und Kontraste. Das gleiche Motiv kann mit unterschiedlichen Objektiven und Filmen aufgenommen völlig unterschiedlich wirken.

Es ist vor allem bei Farbfotos manchmal gar nicht so einfach, analoge von digitalen Fotos zu unterscheiden. Warum ist das so? Auf der einen Seite haben digitale Kameras rein technisch aufgeholt. Lange Zeit waren sie dem Film hinsichtlich Farbraum und Dynamikumfang deutlich unterlegen. Andererseits versucht man, den analogen Look mit irgendwelchen Photoshop Plugins oder Lightroom Presets zu imitieren. Man kann dann natürlich auch gleich eine analoge Kamera benutzen, die in der Farbfotografie noch immer einen deutlichen Vorteil bei Aufnahmen mit Mischlicht bringt.

Das Schwarz-Weiß Foto
Ein gutes Beispiel für feine Graustufen und hohen Dynamikumfang

In der Schwarz-Weiß Fotografie sind die Vorteile analoger Fotografie deutlicher als in der Farbfotografie und lassen sich schlecht imitieren. In meinem Augen wirkt sie durch die feinen Graustufen authentischer und künstlerischer als in der digitalen Fotografie. Der hohe Dynamikumfang sowohl in Höhen als auch in Tiefen trägt zu einer großartigen Anmutung bei. Gerade wer Fotos in schwarz-weiß machen möchte, sollte mal über analoge Fotografie nachdenken.

5. Vorteil: Unbegrenzte Möglichkeiten

Was haben Dinge wie Kaffee, Eisen oder Asphalt mit Fotografie zu tun? Jede Menge! Wir sind heute gewohnt, mit Filmen aus dem Handel zu fotografieren. Doch bis zur Entwicklung dieser auf Silbersalzen basierenden Filme war es ein langer Weg. Die älteste erhaltene Fotografie wurde 1826 auf einer mit Asphalt bestrichenen Zinnplatte aufgenommen. Im 19. Jahrhundert wurde noch mit vielen anderen lichtempfindlichen Materialien experimentiert. Einige der dabei entstandenen Verfahren wie die oben beschriebene Heliografie spielten nicht wirklich eine große Rolle, andere sind jedoch noch heute beliebt. Ein Beispiel ist die Cyanotypie, auch Eisenblaudruck genannt. Cyanotypien sind recht einfach herzustellen, Interessierten empfehle ich diese Anleitung. Wikipedia bietet zudem eine sehr umfassende Auflistung anderer Verfahren.

Cyanotype Dictyota dichotoma von Anna Atkins
Cyanotype Dictyota dichotoma von Anna Atkins aus ihrem Buch Photographs of British Algae: Cyanotype Impressions (1843)

Und was ist mit dem erwähnten Kaffee? Statt handelsüblicher Filmentwickler existieren viele Rezepte für umweltfreundlichere Varianten. Der bekannteste Alternativ-Entwickler ist Caffenol, basierend auf Kaffee, Waschsoda und Vitamin C. Andere Rezepte ersetzen Kaffee durch Tee, Rotwein oder Bier. Die Berliner Filmemacherin Dagie Brundert stellt in ihrem Blog yumyumsoups eine ganze Reihe von Rezepten vor. Zwar filmt sie in Super 8, ihre Rezepte lassen sich aber auch mit anderen Schwarz-Weiß Filmen verwenden.

Und natürlich kann man auch mit der einfachsten Form der Kamera experimentieren: der Lochkamera. Sie verzichtet auf ein Objektiv, wodurch Bilder in einem sehr besonderen Look entstehen. Man kann vorgefertigte Lochkameras kaufen, einen entsprechenden Vorsatz besorgen, eine Lochkamera aus dem 3D-Drucker verwenden oder einfach aus einer Dose basteln. Ich habe auch schon Lochkameras aus Streichholzschachteln gesehen. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.

Vorteile analoger Fotografie: Fazit

Ich könnte diese Liste noch beliebig weiterführen, aber belasse es erstmal bei diesen Punkten. Hat man sich erstmal intensiver mit analoger Fotografie befasst, gerät man eben leicht ins Schwärmen. Allerdings sind die Vorteile analoger Fotografie sehr abhängig davon, was man selbst daraus macht. Denn je mehr man sich darauf einlässt, umso mehr kann man Vorteile für sich selbst entdecken. Allerdings stellt man dann auch fest, welche Bedingungen analoge Fotografie stellt. In erster Linie ist es Lernbereitschaft, wenn man nicht nur mal eben etwas analog knipsen möchte. Gerade die analoge Schwarz-Weiß Fotografie ist zu Beginn eine echte Herausforderung. Es gibt Enttäuschungen, wenn Dinge nicht so funktionieren, wie sie es sonst taten. Aber es wird garantiert auch immer mehr Highlights geben, wenn man sich nicht so leicht entmutigen lässt.

Analoge Fotografie betrachte ich gerne als nichts „Fertiges“ mit vorbestimmten Ergebnissen. Es ist eine Chance zum Experimentieren. Das fängt mit der Wahl von Kamera und Film an … vielleicht sogar mit dem Bau einer Kamera aus einer Kaffeedose oder mit dem 3D-Drucker. Die Aufnahme selbst geschieht sehr bewusst und ist mehr als nur die „Materialsammlung“ für die spätere Arbeit am Computer. Wer seine Filme selbst entwickelt, hat noch weitere Möglichkeiten, das Foto individuell zu gestalten. Zusätzlich öffnet sich eine Welt mit weiteren Edeldruckverfahren wie der Cyanotypie, mit der man experimentieren kann.

Zu viel für den Anfang? Letzten Endes kommt es nur darauf an, mit analoger Fotografie zu beginnen. Ob man das mag und welche Vorteile man für sich selbst entdeckt, kann jeder ganz einfach selbst herausfinden. Wer sich weiter damit beschäftigt, bemerkt bald die Vorteile analoger Fotografie. Es geht nicht mehr um inflationäres Knipsen, sondern um bewusste und pure Fotografie. Dann entstehen auch einzigartige Fotos, die sich deutlich von der Masse abheben. Nicht weil man analog fotografiert, sondern ein besserer Fotograf wird.

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