Lange habe ich auf diesen Moment gewartet, aber in dieser Woche konnte ich endlich meine neue Rollei 35 AF auspacken. Ich hätte ja nicht gedacht, dass ich tatsächlich mal eine neue analoge Kamera kaufen werde. Mit Spiegelreflexkameras bin ich eingedeckt, habe von meiner Lieblingskamera sogar ein paar Exemplare als Reserve. Mit Kompaktkameras war ich bisher jedoch nicht so richtig glücklich. Doch diese Kamera könnte das ändern.
Die originale Rollei 35 hat mir schon immer gefallen. Ich habe sie mir aber nie gekauft, weil mich die fehlende Hilfe bei der Fokussierung störte. Ich fotografiere gerne mit fast offener Blende. Auf kürzere Distanzen sollte man die Entfernung schon recht genau schätzen können. Doch gerade auf dem Gebiet bin ich wirklich eine Niete. Ich bin gespannt, wie gut das Fotografieren mit diesem Autofokus klappt.
Historie der Rollei 35 AF
Über die neue Rollei 35 AF wurde in Foren und Social Media bereits sehr viel geschrieben. Ich will da gar nicht auf alles eingehen, aber doch etwas zum Hersteller loswerden. Es scheint zumindest den meisten klar zu sein, dass Rollei selbst schon lange keine Kameras mehr produziert. Das Unternehmen stellt lediglich den (nicht mehr ganz so klangvollen) Namen zur Verfügung. Der eigentliche Hersteller MiNT wird leider nur selten erwähnt … zum Teil wird sogar von einem Start-up gesprochen. Stimmt das?
Wer sich mit Sofortbildkameras auskennt, widerspricht da ganz sicher. Das Unternehmen startete schon 2009 einen Online-Shop und 2010 ein eigenes Service-Center für die legendären Polaroid SX-70 Kameras. 2013 begann MiNT mit dem Verkauf eigener Kameras auf der Basis der SX-70, später kam zum Beispiel eine TLR als Sofortbildkamera dazu. Diese Kameras haben einen sehr guten Ruf und sind auch in Deutschland zum Beispiel bei Foto Gregor erhältlich. MiNT ein Start-up? Na ja … nicht so wirklich.
Bereits 2022 veröffentlichte MiNT einen kleinen Blog mit Updates zur Entwicklung einer neuen Kamera. Die lief scheinbar schon länger, denn schon mit dem ersten Post wurde eine Zeichnung gezeigt. Im Januar 2023 kam dann das erste Foto eines funktionierenden Prototyps. Auch wenn zunächst kein Modell genannt wurde, war schon dort eine deutliche Ähnlichkeit mit der Rollei 35 erkennbar. Wer möchte, kann die einzelnen Updates unter diesem Link nachlesen. Ein Zitat daraus von MiNT CEO Gary Ho möchte ich hier jedoch einfügen:
R&D is a very capital intensive process. We are basically betting our whole company on this project. So far we haven’t asked for any investor money, and we’re not planning to. My biggest fear is to be pressured by an investor and compromise on quality.
Der erste Eindruck
Die Rollei 35 AF kommt in einem kleinen grauen Karton. Deckel auf und da ist sie! Diese Kamera ist mit den Einstellrädern an der Front ganz unverkennbar eine Rollei 35. Doch einiges hat sich geändert. Neben dem Sucher gibt es noch den kleinen Blitz und das große Fenster für den Autofokus. Deswegen ist sie etwas gewachsen, aber immer noch schön kompakt. Dafür ist sie aber durch die Verwendung von Elektronik und Kunststoffen deutlich leichter geworden. Sie wirkt nicht ganz so massiv wie das Original, aber trotzdem solide gebaut. Das ist in Ordnung, denn ich möchte mit dieser Kamera ja keine Nägel in die Wand hauen. Mit dem Original wäre das sicherlich möglich.
An der Vorderseite sind die beiden typischen Einstellräder neben dem Objektiv angebracht. Auf der einen Seite die Blende, auf der anderen Seite die Belichtungszeit mit manuellen Zeiten und der Einstellung für die Zeitautomatik mit Belichtungskorrektur. Das war es dann aber auch schon fast mit den Einstellmöglichkeiten. Auf der Oberseite sitzt noch ein Hauptschalter, mit dem man die Kamera entweder ohne oder mit automatischem Blitz einschalten oder die ISO einstellen kann. In der Stellung „ISO“ kann durch Drücken der Selbstauslösertaste der ISO-Wert in schön kleinen Stufen geändert werden. Der Wert wird in diesem winzig keinen OLED-Display angezeigt, in dem auch der Filmzähler bzw. Belichtungshinweise angezeigt werden.
Auf der Rückseite ist das Batteriefach für die handelsübliche CR-2 Batterie untergebracht. Im Lieferumfang ist jedoch schon eine dabei. Neben dem Auslöser sitzen zwei LEDs. Die untere grüne LED leuchtet grün, wenn der Autofokus bereit ist. Beim Unterschreiten der Naheinstellgrenze von 70 cm blinkt diese LED und der Auslöser ist gesperrt. Die orange LED zeigt die Blitzbereitschaft an, was bei mir recht schnell geht. Natürlich halten sich die Fähigkeiten eines so kleinen Blitzes in Grenzen. Wahrscheinlich werde ich ihn nie nutzen.
Insgesamt macht diese Kamera einen wirklich guten Eindruck. Die Verarbeitungsqualität stimmt rein äußerlich, da wackelt und knarzt nichts. Sie ist wirklich sehr schön und fühlt sich in der Hand trotz des eckigen Gehäuses gut an.
Der Autofokus
Der Autofokus ist einer der wichtigsten Unterschiede im Vergleich zwischen Rollei 35 AF und dem Original. Der verwendete Lidar Sensor ist durchaus interessant. Ich kenne das Prinzip bereits von meinem iPhone, das erstaunliche Scans von Gegenständen oder Räumen liefert. Nun ist Lidar also in der Kamera angekommen, was definitiv keine schlechte Idee zu sein scheint. Der Autofokus reagiert sehr schnell, ich konnte auch keine Probleme mit wenig Licht feststellen. Das passt!
Aber gerade zum Autofokus habe ich recht kritische Meinungen gelesen, die sich auf das Geräusch beim Fokussieren beziehen. „Klingt wie ein schlecht geölter Akkuschrauber“ oder „rattert wie ein Legospielzeug“ … nur einige Meinungen, die aber zum größten Teil nicht aus eigener Erfahrung stammen. Ja, der Autofokus macht hörbare Geräusche. Doch da ist absolut kein Rattern, meine Akkuschrauber sind auch geölt deutlich lauter und selbst meine wenigen Kameras mit Autofokus machen je nach Objektiv mitunter lautere und vor allem unangenehmere Geräusche. Wer sich unbedingt aufregen möchte, kann das natürlich weiterhin tun. Doch das ist ein Geräusch, an das man sich definitiv gewöhnen kann.
Das Einlegen des Filmes
Jetzt kommt etwas, was bei Tests der Rollei 35 AF ebenfalls häufig unangenehm aufgefallen ist: das Abnehmen der Rückwand. Die soll ziemlich stramm sitzen und sich daher nur schwer abnehmen lassen. Auch das Ansetzen ist wohl eine ganz schöne Fummelei. Ich habe mehrere Kameras mit einer abnehmbaren Rückwand … so wirklich genial ist dieses Prinzip nicht. Das Abnehmen und vor allem das Einsetzen hakt immer etwas. Schließlich soll die Rückwand lichtdicht sein, daher sind die Toleranzen recht gering. Eine Klappe ist da natürlich viel praktischer. Aber okay … in diesem Fall hat sich eben das Original durchgesetzt. Ich war schon sehr gespannt, wie das bei meiner 35 AF funktioniert.
Bei der 35 AF muss man erstmal den Rückspulhebel auf „R“ stellen und danach den Verriegelungshebel am Boden betätigen. Danach lässt sich die Rückwand abnehmen. Ich muss gar nicht so sehr an der Rückwand zerren, wie ich das teilweise in den Testvideos gesehen habe. Auch das Einsetzen empfinde ich nicht komplizierter als bei meinen anderen Kameras. Das könnte daran liegen, dass ich das Prinzip von anderen Kameras gewohnt bin. Ich vermute aber eher, dass MiNT gegenüber der Vorserie nachgebessert hat. Im Vergleich zu anderen Kameras aus meiner Sammlung wie zum Beispiel der Minox 35, der Contaflex oder der Contax I funktioniert die Rückwand der Rollei jedenfalls nicht spürbar schlechter.
Das Einlegen des Filmes erfolgt gewohnt einfach. Die ISO Einstellung erfolgt durch DX-Codierung automatisch, kann aber manuell geändert werden. Nun den Film so weit transportieren, bis der Filmzähler bei „0“ steht … fertig!
Wie fotografiert es sich mit der Rollei 35 AF?
Ich bin natürlich gleich los gezogen und habe den ersten Film belichtet. Und ich muss sagen, dass sich diese Kamera sehr gut anfühlt. Wer wie ich hauptsächlich mit Zeitautomatik fotografiert, muss nur die Blende wählen. Das Fotografieren im manuellen Modus ist auch möglich. Das kleine OLED-Display an der Oberseite weist nicht einfach nur auf Über- und Unterbelichtung hin, sondern zeigt auch die Abweichung von der Normalbelichtung an. Das ist recht gut gelöst, optimaler wäre natürlich eine Einblendung im Sucher. Doch die Einstellungen lassen sich gut machen … das passt schon.
Das Fokussieren mit dem Lidar Sensor funktioniert im Test schnell und zuverlässig. Dabei wird immer auf die Mitte fokussiert, man kann jedoch nach dem Fokussieren bei halb gedrücktem Auslöser den Bildausschnitt verändern. Bis dahin ist alles gut, jetzt kommt der nicht ganz so schöne Teil. Der Auslöser hat einen recht hohen Widerstand und einen gefühlt recht weiten Weg. Gerade bei langen Belichtungszeiten befürchte ich eine verstärkte Neigung zum Verwackeln. Das ist nicht optimal!
Der Filmtransport wurde in einigen Testvideos bereits bemängelt. Einerseits muss man den Transporthebel sehr weit und bis zum Anschlag bewegen. Doch das ist beim Original recht ähnlich. Ich habe jedoch öfter gelesen, dass sich der Transport nicht solide anfühlt. Tester beschrieben, dass sie das Gefühl hatten, die Perforation des Filmes würde beim Transport reißen. Ich kenne dieses Gefühl sehr gut! Meine Agfa Selectronic S ist ein sehr gutes Beispiel dafür. Bei der Rollei 35 AF habe ich diesen Eindruck aber nicht. Natürlich fühlt sich das nicht so solide wie bei einer analogen Spiegelreflexkamera an. Im Vergleich zu anderen Kompaktkameras passt das aber. Entweder hat MiNT im Vergleich zur Vorserienproduktion nachgebessert oder die Tester kennen die Agfa Selectronic S nicht.
Ein paar Bilder vom Test
Ob das alles auch funktioniert, lässt sich natürlich erst nach einem Test bewerten. Vor allem auf die Qualität des fünflinsigen Objektives war ich sehr gespannt. Das Ergebnis gefällt mir sehr. Kontrast, Schärfe und Zeichnung passen für mich, auch die Vergütung ist sehr gut. Für so ein kleines Objektiv ein wirklich schönes Ergebnis.
Der Autofokus ist schnell und recht genau, allerdings gibt es natürlich keine Kontrolle darüber, worauf gerade fokussiert wird. Gerade bei sehr filigranen Motiven wie Zweigen oder Beeren sollte unbedingt der Mindestabstand eingehalten werden. Sonst fokussiert die Kamera auf jeden Fall auf den Hintergrund. Aber dieses Problem ist nicht spezifisch … jede Sucherkamera mit Autofokus verhält sich nicht anders. Da ist es schon wieder gut, dass der Autofokus nicht geräuschlos ist. Kurzes Fokussieren für den Vordergrund, langes Fokussieren für den Hintergrund. Hier mal ein paar Testfotos:
Das fehlende Filtergewinde: Problem gelöst
Ein Objektiv ohne Filtergewinde ist besonders für Schwarz-Weiß Fotografen wie mich ein Problem. Ich habe fast immer einen mittleren Gelbfilter beim Fotografieren drauf. Ein guter Grund, das Gewinde wegzulassen, fällt mir nicht ein. Doch MiNT hat es getan und die Rollei 35 AF ohne Filteraufnahme produziert. Und nun?
Zum Glück gibt es 3D-Drucker. Ich hatte mich schon darauf eingestellt, selbst einen Adapter zu konstruieren. Doch tatsächlich hat jemand schon sehr früh bei Thingiverse ein 3D-Modell zum Download angeboten. Ich habe mir diesen Adapter mit TPU gedruckt, was ich in diesem Fall auch empfehle. Er hat kein Gewinde, doch ein Step-Up Adapterring von 37 auf 43 mm lässt sich sehr gut aufstecken. Das Filterangebot für 43 mm Durchmesser ist recht gut, auch Objektivdeckel gibt es reichlich. Dieses Problem ist also gelöst!
Mein Fazit zur Rollei 35 AF
Ich muss sagen, dass ich diese kleine Kamera wirklich sehr mag. Das Original fand ich schon immer spannend. Doch mit den Änderungen ist die Rollei 35 in diesem Jahrhundert angekommen, ohne an Charme zu verlieren. Da sind vor allem die Kleinigkeiten, die meinen persönlichen Gewohnheiten sehr entgegenkommen. Da wäre die Zeitautomatik, mit der ich am liebsten fotografiere. Eine Belichtungskorrektur darf nicht fehlen, schon allein für die Benutzung von Filtern. Auch der Autofokus ist sehr gut benutzbar. Sogar das winzig kleine Display ist nützlicher als erwartet. All diese Dinge machen diese kleine Kamera für mich durchaus wertvoll.
Natürlich könnte einiges besser sein. Ein paar Dinge wie der kleine Sucher oder die abnehmbare Rückwand sind nun mal an das Original angelehnt … okay, passt schon. Das fehlende Filtergewinde verstehe ich nicht wirklich, zumal dadurch der Objektivdeckel auch besser halten würde. Aber dafür habe ich ja schon meinen Adapter aus dem 3D-Drucker, ein paar Ersatzdeckel werde ich mir vorsorglich auch schon mal drucken. Der Auslöser ist tatsächlich nicht optimal, aber daran kann ich mich gewöhnen. Am Ende des Testfilmes kam mir das auch gar nicht mehr so merkwürdig vor. Trotz all dieser Dinge macht mir persönlich das Fotografieren mit der 35 AF viel Spaß. Der nächste Film ist auch schon eingelegt.
Jetzt gibt es noch die eine wichtige Frage, die jedoch jeder für sich selbst klären muss: ist diese kleine Kamera 849 € wert? Ich würde diese Frage für mich durchaus mit einem „Ja“ beantworten. Ja, für schon weniger als die Hälfte des Preises habe ich heute Morgen eine originale Rollei 35 S vom Händler inkl. einem Jahr Garantie gesehen. Entfernungen müsste ich dann schätzen (bei meinem fehlenden Talent) und müsste auf die Zeitautomatik verzichten. Unterm Strich hat die Rollei 35 AF für mich einen deutlich höheren Nutzwert und ist schneller schussbereit. Das ist definitiv ein Vorteil. Vor allem aber ist dies meine fast erste analoge Kamera, an der ich rein gar nichts machen muss. Einfach auspacken und fotografieren … ein wirklich großartiges Gefühl! Deswegen für mich ein klares „Ja“, aber das ist nur meine persönliche Meinung.
Zum Abschluss wünsche ich dieser Kamera wie auch der Pentax 17 viel Erfolg. Es ist gerade für ein kleines Unternehmen wie MiNT ein sehr großes finanzielles Risiko, eine neue Kamera zu entwickeln. Gerade wenn man auf Investoren verzichtet und das alles alleine stemmt. Oder wie bei Pentax ein großes Unternehmen im Rücken hat. Ich hoffe, dass dieser Mut belohnt wird. Allerdings bin ich nach meinen ersten Erfahrungen mit der Rollei 35 AF auch recht optimistisch.
Frank Vogler (Autor)
Vor ein paar Jahren habe ich die analoge Fotografie in Schwarz-Weiß für mich entdeckt und mich dabei neu in Fotografie verliebt. Ich würde mich freuen, andere zu unterstützen und vielleicht auch etwas zu inspirieren. Mehr lesen …
Lieber Frank,
guter Artikel!
Wird die Belichtung durch oder nahe am Objektiv gemessen? Dann auch durch aufgesteckte Filter?
Kann man den AF einfrieren, durch halbes Durchdrücken des Auslösers für komplexe Objekte dann vorher eine Referenzentfernung anpeilen? Dito bei Belichtungsmessung?
Zum Blitz: Ich habe den von der Pentax 17 im Urlaub oft bei Gegenlicht benutzt, um Personen oder Objekte im Vordergrund aufzuhellen oder bei lokalen Schatten vorne.
Werde für die Pentax 17 mal einen ähnlichen Artikel verfassen.
Hallo Rüdiger,
der Sensor für den Belichtungsmesser liegt von vorn gesehen rechts oben neben dem Objektiv. Einen Filter muss man also durch die Belichtungskorrektur bei der Zeitautomatik oder durch Anpassungen im manuellen Modus oder eben durch Anpassung der ISO ausgleichen.
Der AF wird bei halb gedrücktem Auslöser gehalten, man kann den Bildausschnitt also vor dem Auslösen anpassen. AE Lock gibt es leider nicht.
Zum Aufhellen bei kürzeren Entfernungen ist der Blitz sicher recht gut geeignet.